Voll­macht­miss­brauch Wenn Bevoll­mächtigte das Konto leer räumen

Voll­macht­miss­brauch - Wenn Bevoll­mächtigte das Konto leer räumen

Wach­samkeit. Wer Miss­brauch einer Voll­macht beob­achtet, sollte dies der Polizei vor Ort melden, oder auf der Internet­wache (online-strafanzeige.de). © Stocksy United / Marc Tran

Es kommt vor, dass Vorsorge- und Konto­voll­machten finanziell miss­braucht werden. Wo die Risiken liegen und wie Sie sich am besten vor Miss­brauch schützen.

Eine Vorsorgevollmacht und Kontovollmacht ermöglichen vieles. Wer sie in der Hand hat, kann damit für eine andere Person den Alltag regeln: Etwa Gesund­heits­entscheidungen treffen, Wohnung- und Pfle­geheimfragen klären, Bank­geschäfte erledigen. Aber was passiert, wenn Bevoll­mächtigte das Vertrauen finanziell ausnutzen, zum Beispiel das Konto leer räumen und das Haus verkaufen?

Es gibt kaum Schutz­mecha­nismen. Ein Notar ist für das Verfassen einer Voll­macht nicht nötig. Unbe­dingtes Vertrauen ist die Basis dafür, dass Bevoll­mächtigte alles im Interesse der Voll­macht­geber regeln. Doch Anwalts- und Gerichts­praxis zeigen, dass Voll­machten auch miss­braucht werden, vor allem ältere und hilfs­bedürftige Menschen sind betroffen. In Anbetracht der demogra­fischen Entwick­lung und einer zunehmend älter werdenden Gesell­schaft geht die Polizei von einer Zunahme von Miss­brauchs­fällen aus. „Die Menschen werden nicht nur älter, sie haben auch mehr Vermögen“, sagt Annett Mau vom Landeskriminalamt Berlin.

Ratgeber und Vorsorge-Formulare

Vorsorgevoll­macht

Mit einer Vorsorgevollmacht sorgen Voll­macht­geber für den Fall vor, dass sie selbst nicht mehr in der Lage sind etwas zu regeln, etwa nach einem Unfall, krank­heits- oder alters­bedingt.

Konto­voll­macht

Die Konto­voll­macht erlaubt es dem Bevoll­mächtigten, Bank­geschäfte zu erledigen. Sie ist ebenfalls sinn­voll, um für Krankheit oder Unfall vorzusorgen. Unser Test von Kontovollmachten zeigt, was bei welcher Bank möglich ist.

Alle Formulare in einem Set

Hand­lich und voll­ständig erhalten Sie alles im Ratgeber Das Vorsorge-Set. Er enthält die wichtigsten Formulare zum Heraus­trennen und Abheften. Dazu gibt es Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die in verständlichem Deutsch abge­fasst sind.

Rechts­anwälte berichten, vermehrt Fälle von Voll­macht­miss­brauch auf dem Tisch zu haben. „Fälle von finanzieller Ausbeutung älterer Menschen nehmen nach unserer Beob­achtung zu“, sagt Anwalt Dietmar Kurze, der auch Vorstand im Verein Vorsorgeanwalt ist.

270 000 Euro abge­hoben – Erbinnen gehen leer aus

Am Amts­gericht Pfaffenhofen wurde der Fall einer 61-jährigen Nichte verhandelt, die für Konten ihres Onkels Konto­voll­machten hatte. Nach seinem Tod hob sie insgesamt 270 000 Euro in bar ab. Das Geld hatte die Frührentnerin bereits vor dem Tod bei mehreren Bank­filialen bestellt, da die Banken Bargeld in dieser Höhe nicht vorrätig hatten. Bei der Auszahlung wussten die Banken nicht, dass der Onkel bereits verstorben war.

Den beiden Töchtern, die Erbinnen sind, fiel das Fehlen des Geldes auf, als sie bei der Bank nach­fragten. Vor Gericht argumentierte die Nichte, der Onkel habe ihr das Geld geschenkt beziehungs­weise schenken wollen. Das Gericht konnte ihr keinen gewerbs­mäßigen Betrug nach­weisen und sprach sie frei. „In dubio pro reo“, im Zweifel für die Angeklagte (Az. 2 Ls 41 Js 15317/22).

Bevoll­mächtigte muss 83 000 Euro zurück­zahlen

Eine vom Vater bevoll­mächtigte Tochter muss rund 83 000 Euro an die Erben­gemeinschaft heraus­geben, urteilte das Brandenburgische Ober­landes­gericht. Die Tochter selbst ist auch Teil der Erben­gemeinschaft. Sie hatte eine Konto­voll­macht und Zugriff auf die gesamten Konten und Erspar­nisse ihres Vaters. Als er noch lebte, über­wies sie immer mal wieder Beträge auf ihr eigenes Konto, teils mit dem Verwendungs­zweck „Sparen“. Beträge von 500 Euro und 250 Euro leitete sie an ihre Söhne weiter.

Nach dem Tod des Vaters verlangte die Erben­gemeinschaft einen Nach­weis darüber, dass sie das Geld des Vaters bestimmungs­gemäß verwendet hatte. Diesen Nach­weis konnte sie nicht führen. Die Tochter argumentierte, der Vater habe sie dazu angewiesen, ihren Söhnen die Beträge auszuzahlen. Doch sie konnte keine konkreten Angaben über Zeit und Ort der Anweisungen machen. Ebenso wenig konnte sie nach­weisen, dass sie für den Vater Geld für den täglichen Lebens­bedarf ausgeben sollte.

Konto­voll­macht mit Rechen­schafts­pflicht

Die Richte­rinnen und Richter entschieden, dass zwischen Vater und Tochter ein Auftrags­verhältnis mit Rechts­bindungs­willen bestand ( Paragraf 662 Bürgerliches Gesetz­buch). Es standen erhebliche wirt­schaftliche Interessen auf dem Spiel. Die Tochter sollte die Konten nur verwalten und das Geld nach Wünschen des Vaters verwenden. Liegt ein Auftrags­verhältnis vor, ist die Bevoll­mächtigte zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet. Dieser Pflicht konnte die Tochter nicht nach­kommen. Das Geld muss sie heraus­geben (Az. 3 U 47/23).

Straftaten kommen durch Anzeigen ans Licht

Ans Licht kommen die Taten in der Regel nicht durch eine Anzeige des Geschädigten, wie sonst bei Vermögens­straftaten üblich. Die betroffenen Voll­macht­geber sind ja gerade nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Sie erkennen den Miss­brauch in der Regel nicht. Deshalb sind es oft Erben oder andere Berechtigte, die Anzeige erstatten. Jedoch werden die Vermögens­straftaten durch Bevoll­mächtigte polizei­lich nicht extra erfasst. Eine statistische Erfassung von Betrug, Untreue oder Unter­schlagung im Zusammen­hang mit Vorsorge- und Konto­voll­machten gibt es nicht. Ein Straftat­bestand „Finanzieller Miss­brauch“ existiert nicht.

Experten fordern mehr Schutz­möglich­keiten

Vor dem Hintergrund vermutlich steigender Miss­brauchs­fälle fordern Experten mehr Schutz­möglich­keiten für Voll­machten und schlagen zum Beispiel vor:

  • Eine einheitliche polizei­liche Erfassung von Vermögens­delikten im Zusammen­hang mit Konto- und Vorsorgevoll­machten.
  • Eine Anlauf­stelle für Betroffene, um Verdacht auf Miss­brauch zu melden. Ein Hilfetelefon für Verdachts­fälle gibt es zum Beispiel in Österreich und der Schweiz.
  • Für die Vorsorgevoll­macht zum Beispiel ein obliga­torisches Register, in dem auch der Nach­weis der Geschäfts­fähig­keit bei Erteilen der Voll­macht hinterlegt wird, oder die Verpflichtung, den Eintritt des Vorsorgefalls und einen Widerruf anzu­zeigen.

Unbe­dingtes Vertrauen ist die Basis

In die Gestaltung einer Vorsorgevoll­macht mischt sich der Staat bislang kaum ein. Die Vorsorgevoll­macht dient dazu, die persönliche Selbst­bestimmung zu wahren und eine gericht­liche Betreuung zu vermeiden. Jede und jeder kann frei wählen, wen er oder sie bevoll­mächtigt. Bei der Wahl von Bevoll­mächtigten empfiehlt Vorsorgeanwalt Kurze kritisch zu sein: „Wir empfehlen, nur lang­jährig Vertraute in Betracht zu ziehen.“

Auf Interes­sens­konflikte achten

Voll­macht­geber sollten darauf achten, dass keine Interes­sens­konflikte entstehen. Das kann zum Beispiel passieren, wenn es ums Geld geht und Eltern nur einem ihrer Kinder die Konto­voll­macht erteilen. Geschwister könnten befürchten, benach­teiligt zu werden oder die Sorge haben, dass Bevoll­mächtigte sich selbst bereichern. Das kann später in einem Rechts­streit enden. Besser ist es, in solchen Fällen die finanzielle Situation mit allen Beteiligten zu besprechen und klare Rege­lungen zu treffen. Im Zweifel kann es sinn­voll sein, sich an einen Notar zu wenden, um alles rechts­sicher zu formulieren.

Tipp: Was ein Notar kostet und wann ein Notar sinn­voll ist, erklären wir im Special Vorsorgevollmacht.

Betreuungs­verfügung kann eine Alternative sein

Wer unsicher ist, für wen er eine Vorsorgevoll­macht ausstellen soll oder wer keine Vertrauens­person hat, kann alternativ eine Betreuungs­verfügung erstellen und darin Wünsche für eine Betreuung formulieren. Betreue­rinnen und Betreuer werden vom Gericht kontrolliert – anders als Bevoll­mächtigte.

Tipp: Im Ratgeber „Das Vorsorge-Set“ bietet die Stiftung Warentest ein Formular für eine Betreuungs­verfügung an und erklärt, was dabei zu beachten ist.

Kontroll­betreuung beim Gericht anregen

Stellt sich bereits zu Lebzeiten des Voll­macht­gebers heraus, dass Bevoll­mächtigte nicht dessen erklärten oder mutmaß­lichen Willen beachten, können andere Beteiligte eine Kontroll­betreuung beim Betreuungs­gericht anregen. Voraus­setzung dafür ist grund­sätzlich, dass Voll­macht­geber aufgrund von Krankheit oder Behin­derung selbst nicht mehr in der Lage sind, ihre Rechte gegen­über dem Bevoll­mächtigten geltend zu machen. Nur der Verdacht eines Voll­macht­miss­brauchs reicht für eine Kontroll­betreuung aber nicht aus.

Es müssen konkrete Anhalts­punkte und Tatsachen dafür vorliegen, dass dem Betreuungs­bedarf des Voll­macht­gebers nicht Genüge getan wird. Wer eine Kontroll­betreuung anregen will, wendet sich an das am Wohn­ort des Voll­macht­gebers zuständige Betreuungs­gericht, erreich­bar über das Amts­gericht.

Wird ein Kontroll­betreuer einge­setzt, über­wacht und kontrolliert er spezi­fische Aufgaben des Bevoll­mächtigten, wobei die Vorsorgevoll­macht gültig bleibt. Kontroll­betreuer sind quasi „Aufpasser“ mit der Befugnis, eine Vorsorgevoll­macht zu widerrufen oder Ansprüche gegen den Bevoll­mächtigten geltend zu machen.

Tipp: Die Stiftung Warentest bietet einen Betreuungs­behördenfinder an. Nach Eingabe der Post­leitzahl bekommen Sie die zuständige Betreuungs­behörde ange­zeigt. Die Behörde hilft bei Fragen rund um eine Betreuung und vermittelt die richtigen Ansprech­partner.

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Streit über 900 000 Euro in bar und Aktien

Voraus­schauend hatte eine Mutter im Jahr 2004 ihren beiden Söhnen jeweils eine notarielle Vorsorgevoll­macht ausgestellt. 15 Jahre später lebte die an Demenz erkrankte Mutter in einem Pfle­geheim. Zuvor, im Jahr 2015, widerrief die Mutter eine der beiden Vorsorgevoll­machten, sodass nur noch ein Sohn alleine bevoll­mächtigt war. Ihm schenkte sie drei Jahre später erhebliche Vermögens­werte: Aktien im Wert von 300 000 Euro und Bargeld in Höhe von 600 000 Euro, insgesamt 900 000 Euro.

Der Bruder ohne Vorsorgevoll­macht befürchtete einen Miss­brauch und wandte sich an das Betreuungs­gericht. Doch bei der Prüfung kam heraus, dass die Mutter dem Sohn das Geld offen­bar direkt geschenkt hatte. Eine Kontroll­betreuung lehnte das Gericht ab. Hingegen war der zweite Antrag auf Kontroll­betreuung zwei Jahre später erfolg­reich. Der Bruder argumentierte, die Mutter sei zum Zeit­punkt der Schenkungen aufgrund ihrer Demenz geschäfts­unfähig gewesen. Die Rechts­wirk­samkeit der Schenkung müsse über­prüft werden. Zum Nach­weis reichte der Bruder unter anderem Berichte des sozial­psychiatrischen Dienstes ein.

Bruder­streit landet beim Bundes­gerichts­hof

Der zweite Antrag auf Kontroll­betreuung landete beim Bundes­gerichts­hof (BGH). Der Fall war etwas kompliziert, denn der erste Antrag auf Kontroll­betreuung war vom Betreuungs­gericht abge­lehnt worden. Der BGH entschied jedoch, dass es in Betreuungs­sachen möglich ist – aufgrund des fürsorgerischen Charakters des Verfahrens – zum Schutz der Betroffenen ein Verfahren neu aufzurollen. Zumal der konkrete Vorwurf der Geschäfts­unfähigkeit neu im Fokus stand.

Der BGH entschied, dass im Fall der mitt­lerweile 90-jährigen Mutter eine Kontroll­betreuung einge­richtet wird. Konkrete Anhalts­punkte sprachen für eine gewisse Wahr­scheinlich­keit eines Interes­senkonfliktes zwischen den Ansprüchen der Voll­macht­geberin und dem bevoll­mächtigten Sohn: Die Höhe der Schenkung (900 000 Euro) und der plausible (neue) Einwand, die Mutter sei möglicher­weise geschäfts­unfähig gewesen. Eine Rechts­anwältin prüft als Kontroll­betreuerin nun, ob die Mutter bei der Schenkung möglicher­weise geschäfts­unfähig war und ob es einen Rück­forderungs­anspruch gegen den beschenkten Sohn gibt (Az. XII ZB 178/24).

Pflegerin gehört plötzlich das Haus

Es kommt vor, dass Voll­macht­geber keine engen Vertrauten haben, mit der Familie zerstritten sind oder Angehörige weit entfernt wohnen. Flüchtige Bekannte, Haus­halts­hilfen oder Pfle­gekräfte erkennen dann manchmal die Chance, ein Vertrauens­verhältnis finanziell auszunutzen. Das kann so weit gehen, dass Betreute zunehmend von ihren bisherigen Bevoll­mächtigten und der Familie isoliert und dazu gedrängt werden, die ursprüng­liche Vorsorgevoll­macht zu widerrufen. Der Bekannte oder die Pflegerin erhalten eine neue Vorsorgevoll­macht, teils notariell erstellt. Die neuen Bevoll­mächtigten haben dann Zugriff auf Konto, Vermögen und Immobilien – und nutzen das aus. Im Interview mit der Stiftung Warentest berichtet Kriminal­haupt­kommis­sarin Annett Mau vom Landes­kriminal­amt Berlin, wie hilfs­bedürftige Menschen ausgenutzt werden.

Verein setzt sich für Hilfe bei Miss­brauch ein

Für mehr Bewusst­sein in der Gesell­schaft beim Thema Voll­macht­miss­brauch setzt sich der gemeinnützige Verein „Initiative gegen Vollmachtmissbrauch e. V.“ (www.voll­macht­miss­brauch.de) ein. „Finanzieller Miss­brauch ist ein Problem, das insbesondere ältere und schutz­bedürftige Menschen betrifft und kaum an die Öffent­lich­keit gerät“, sagt Vorständin und Rechts­anwältin Hildegard Winnebeck. Der Verein informiert über Miss­brauchs­fälle und gibt Hilfe­stellung.

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