Werwolf­syndrom bei Hunden „Die Hunde sind wie in einer Psychose“

Werwolf­syndrom bei Hunden - „Die Hunde sind wie in einer Psychose“

Grund­los panisch. Das sogenannte Werwolf­syndrom gibt Hundehaltern, Futterherstel­lern und Tier­ärzteschaft Rätsel auf. © Getty Images

Kauknochen sollen bei Hunden schwere Verhaltens­störungen verursacht haben. Vor welchen Snacks europäische Behörden warnen – und was im Verdachts­fall zu tun ist.

Der eigene Hund ist ganz plötzlich nicht mehr er selbst: Er ist scheinbar grund­los verängs­tigt, bellt und bewegt sich unkontrolliert – und das mitunter tage- oder wochen­lang.

In den Medien machte dieser Albtraum für Hund und Halter als „Werwolf­syndrom“ die Runde. Als Auslöser stehen mutmaß­lich verunreinigte Hundesnacks im Verdacht.

Europaweit traten Fälle auf

Mitt­lerweile sind einem Netz­werk von Tierneurologen in Deutsch­land und der Schweiz rund 70 Hunde mit den spezi­fischen Symptomen bekannt. Besonders viele Fälle gab es im Herbst 2024.

Auch aus etlichen anderen europäischen Ländern berichteten Veterinäre ähnliche Fälle – unter anderem aus Finn­land, Estland und Dänemark, den Nieder­landen und Belgien, der Schweiz und Ungarn.

Vom Hund zum Werwolf – „drastisch, aber passend“

In Deutsch­land suchen derzeit vor allem die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) und die Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) gemein­sam mit anderen Tierneurologen nach der Ursache für die Erkrankung.

Dr. Nina Meyerhoff ist Tierneurologin und koor­diniert die Forschung zum Werwolf­syndrom in Hannover. Die Bezeichnung Werwolf­syndrom sei drastisch, aber passend, sagt Meyerhoff: „Das Verhalten ist wirk­lich dramatisch. Die Hunde sind wie in einer Psychose, jaulen, sind verstört.“

Symptome mit Medikamenten gut behandel­bar

Diese Symptome halten über mehrere Tage bis Wochen an, schwächen sich nach einer Behand­lung mit angst- und krampf­lösenden Medikamenten aber ab. Immerhin hat die „Diagnose Werwolf“ also eine gute Prognose. Lebens­gefahr besteht für die Hunde nach derzeitigem Wissens­stand nicht.

Im Ernst­fall könne es aber sinn­voll sein, dass Hunde stationär aufgenommen würden, sagt Tierneurologin Meyerhoff: „Insbesondere große Hunde lassen sich zu Hause bei akuten Anfällen kaum hand­haben.“

Betroffene Hunde hatten Kauknochen erhalten

Während aktuell kaum noch neue Fälle des Werwolf­syndroms auftreten, suchen die Forschenden weiter nach dem Auslöser der Symptome. „Klar ist derzeit, dass die betroffenen Hunde, die bei uns neurologisch untersucht wurden, zuvor Kauknochen bekommen hatten“, sagte Nina Meyerhoff der Stiftung Warentest: „Der zeitliche Zusammen­hang ist eindeutig. Das konnten wir über detaillierte Abfragen der Futtermittel fest­stellen.“

Außerdem sind sich die Forschenden mitt­lerweile sicher, dass es sich bei den Symptomen um Vergiftungs­erscheinungen handelt. Dafür spreche beispiels­weise, dass sich in einigen Haushalten gleich mehrere Hunde auffällig verhielten: Das mache eine individuelle Krank­heits­ursache bei den Tieren unwahr­scheinlich.

Auch dass die Symptome bei manchen Hunden nach komplettem Abklingen bei erneuter Fütterung der Kausnacks wieder auftraten, spreche für eine Vergiftung.

Mein Hund zeigt die Symptomatik – was kann ich tun?

Die Kleintierklinik der LMU in München nennt auf ihrer Webseite folgende klinische Zeichen: „Plötzliche Verhaltens­änderungen und zeit­weise unkoor­dinierte Bewegungs­abläufe. Episo­dische, plötzliche und extreme Aufregung, Panikatta­cken mit Heulen, Unruhe und Schreien. Versuche, durch Fenster oder Türen zu entkommen. Gelegentlich phasen­weise plötzlich aggressives Verhalten. Hinweise auf Halluzinationen bei einigen Patienten. In späteren Phasen generalisierte epileptische Anfälle.“

Falls Ihr Hund diese Verhaltens­weisen zeigt, empfehlen die Veterinäre dieses Vorgehen:

  • Andere Erkrankung ausschließen. Suchen Sie eine Tierklinik oder -praxis mit einer Spezialisierung für Neurologie auf. Die Tier­ärzt­liche Hoch­schule Hannover verweist auf eine Liste solcher Praxen. Denn die Symptome können verschiedene andere Ursachen haben. Das muss zunächst ausgeschlossen werden.
  • Vorsichtig sein. Durch die Wesens­ver­änderung erkennt Ihr Hund Sie mitunter nicht mehr, hört mitunter auch nicht auf bekannte Kommandos. Außerdem schätzen Sie die Reaktionen Ihres Tieres möglicher­weise falsch ein. Daher: Auf die eigene Sicherheit achten und den Hund vorsichts­halber vor­erst von Kindern fernhalten. Und den Hund draußen auf jeden Fall an der Leine führen.
  • Reiz­arme Umge­bung schaffen. Starke Umwelt­reize können die Anfälle hervorrufen, daher sollten Sie versuchen, für Ihren Hund vorüber­gehend eine möglichst reiz­arme Umge­bung herzu­stellen. Das heißt: Wenig Geräusche, keine fremden Hunde oder Besuche, nur kleine Spaziergänge und nicht unbe­dingt auf die Hundewiese gehen.
  • Auf Kauknochen verzichten. Bekommt Ihr Hund sonst Kauknochen, sollten Sie diese vor­erst nicht mehr geben – bis das Werwolf­syndrom ausgeschlossen ist.
  • Dokumentieren. Treten plötzlich die Symptome des Werwolf­syndroms auf, sollten Sie zeit­nah zum Beispiel exakt dokumentieren, was ihr Hund gefressen hat – auch Futter, das der Hund immer schon bekommen hat. Das kann helfen, mögliche Ursachen ausfindig zu machen. Auch Video­aufnahmen der Episoden können hilf­reich sein.
  • An Erhebung teilnehmen. Aktuell versuchen die Stiftung Tier­ärzt­liche Hoch­schule Hannover und die Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München die Erkrankung besser zu verstehen. Sie können dabei helfen, indem Sie einen Online-Fragebogen beant­worten.
  • Vernetzen. Das Leiden der Tiere kann auch für Herr­chen und Frauchen sehr belastend sein. Stellen Sie sicher, dass das Tier medizi­nisch versorgt ist und vernetzen Sie sich mit anderen Betroffenen. In sozialen Netz­werken haben sich schon entsprechende Gruppen formiert.

Auslösende Substanz immer noch rätselhaft

Weiter schleierhaft ist hingegen, welche Substanz den schlechten Trip bei den Hunden auslöst. Die Nach­forschungen gehen in verschiedene Richtungen: Mykotoxine, also Pilzgifte mit psycho­aktiver Wirkung, eine Quer-Kontamination mit Drogen beim Trans­port aus China oder theoretisch auch die Verunreinigung mit Bioziden.

Spannend sei auch eine Spur in die 1940er- und 50er-Jahre, sagt Tierneurologin Nina Meyerhoff: „Es gibt Berichte über eine ganz ähnliche Hysterie bei Hunden, die durch gebleichtes Mehl, genauer durch Trichloramin, ausgelöst wurde“.

Bisher konnte sich, zum großen Frust von Tierhaltern, keine dieser Spuren erhärten. Die Labor­analysen der Forschungs­teams aus Hannover und München haben bislang keine eindeutigen Ergeb­nisse geliefert.

Fokus liegt auf Knochen der Marke Barkoo

Unfreiwil­lig im Zentrum der Unter­suchungen steht der europaweit agierende Online-Händler für Tierbedarf Zooplus mit Produkten seiner Eigenmarke Barkoo.

Ende Dezember 2024 warnte die niederländische Lebensmittel- und Warenaufsichtsbehörde vor einigen Rinderhaut-Kauknochen der Marke Barkoo, die über die Online-Shops Zooplus und Bitiba verkauft wurden. Beide gehören zum Unternehmen Zooplus SE.

Diese Kauknochen „sind die vermutete Ursache für die Entwick­lung schwerer neurologischer Anomalien bei Hunden“, heißt es über­setzt auf der Website der Behörde:

  • Kaustange natur, 29 cm (MHD: 04.2027, Produktions­nummer: 3200PF027)
  • Kauknochen Barkoo geknotet natur, 11 cm (MHD: 07.2027, Produktions­nummer: 3200PF027)
  • Kauknochen geknotet natur, 24 cm (MHD: 05.2027, Produktions­nummer: 3200PF027)
  • Kauknochen geknotet mit Spirulina, 12 cm (MHD: 06.2027, Produktions­nummer: 3200PF027)

Rohhaut-Produkte auch in Deutsch­land erhältlich

Ende Januar 2025 schlossen sich französische Behörden der Warnung an und berichteten außerdem: Zooplus und Bitiba hätten auch alle Kunden kontaktiert, die Barkoo-Produkte mit Schwein oder Schweine­fleisch sowie Produkte aus Schweine- oder Hühnerhaut gekauft hatten.

Wir konnten nach­voll­ziehen, dass gleichnamige Produkte auch in Deutsch­land erhältlich waren.

Zooplus informierte Käufer recht spät

Uns liegt der Schrift­verkehr zwischen Zooplus und einer Veterinärin und Besitzerin betroffener Hunde vor, in dem sie das Unternehmen schon Ende November 2024 auf einen möglichen Zusammen­hang zwischen der Werwolf-Symptomatik und den Barkoo-Knochen hinweist.

Doch erst am 16. Januar 2025 – und somit deutlich nach den ersten Hinweisen und der Warnung aus den Nieder­landen – informierte Zooplus nach eigenen Angaben Kunden, die das Produkt bereits gekauft hatten, direkt per E-Mail. Konkret schrieb Zooplus: „Als Vorsichts­maßnahme bitten wir Sie, die seit Juli 2024 gekauften Produkte nicht an Ihr Haustier zu verfüttern. Sie können sie in Ihrem Hausmüll entsorgen.“

Zooplus stoppte Verkauf europaweit

Eine Sprecherin von Zooplus teilte uns mit: „Als uns erste Bedenken erreichten, haben wir sofort reagiert und den Verkauf der in Frage stehenden Barkoo-Kauknochen in ganz Europa vorsorglich einge­stellt“. Warum Kunden erst recht spät informiert wurden, ließ Zooplus offen.

Keine offizielle Warnung von deutschen Behörden

Eine öffent­liche Warnung seitens deutscher Behörden gibt es bislang nicht. Das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch legt fest, dass Behörden die Öffent­lich­keit nur dann über Probleme informieren dürfen, „wenn andere ebenso wirk­same Maßnahmen […] nicht oder nicht recht­zeitig getroffen werden oder die Endverbraucher nicht erreichen.“

Die direkte Information per Mail sei das „weit­aus effekti­vere Vorgehen“, teilte Zooplus uns mit. Eine Sprecherin von Zooplus hob uns gegen­über auf Anfrage hervor, dass man so vorgegangen sei, obwohl es „keine Belege oder wissenschaftlich fundierte Erkennt­nisse gibt“.

Mehr Trans­parenz wäre möglich gewesen

Zooplus handelte durch­aus im Einklang mit dem Lebens- und Futtermittel­recht. Wir halten es allerdings für denk­bar, dass eine solche E-Mail von Online-Shops mitunter auch ungelesen als Werbung abge­tan werden könnte.

Ein Unternehmen, dass in den Mails an Kunden von sich sagt, „Produktsicherheit war und ist eines unserer wichtigsten Versprechen an Haustierhalter in ganz Europa“, hätte unseres Erachtens zumindest auch auf der eigenen Webseite eine frei zugäng­liche Warnung veröffent­lichen können. Auch eine deutlich frühere Information der Kunden wäre im Sinne der Hunde und ihrer Halter gewesen.

Rück­rufe weiterer Kauprodukte in anderen EU-Ländern

Zooplus ist nicht der einzige Anbieter, dessen Produkte im Verdacht standen, dass sie die Symptome des Werwolf­syndroms auslösen: In Finn­land rief Anbieter Vafo bereits im Sommer 2024 einige in China hergestellte Kauknochen und -sticks zurück.

Im Dezember 2024 warnte die dänische Veterinär- und Lebensmittelbehörde vor Kauprodukten der Marke Chrisco. Nach unseren Recherchen waren diese Produkte in Deutsch­land aber nicht erhältlich.

Beruhigend: Viele Werwölfe sind gar keine

Immerhin: Mitt­lerweile werden kaum noch neue Fälle des Werwolf­syndroms bestätigt. Die Warnungen der Behörden im Ausland und auch der vorsorgliche Verkaufs­stopp einiger Barkoo-Produkte durch Zooplus könnten dazu beigetragen haben.

Dennoch würden Tierneurologen aktuell mit E-Mails besorgter Herr­chen und Frauchen von Hunden mit epileptischen Anfällen oder Gleichgewichts­störungen über­schwemmt, berichtet Veterinärin Meyerhoff: „Einige Symptome des Werwolf­syndroms können viele andere Ursachen haben − Hirntumore, Schlag­anfälle oder Gehirn­entzündungen zum Beispiel.“ Bestätigte Fälle der mysteriösen Vergiftung sind die absolute Ausnahme. Viele mutmaß­liche Werwölfe sind gar keine.

Tipp: Unsere Expertinnen und Experten haben zusammengefasst, wie Sie Ihren Hund richtig ernähren.

Mehr zum Thema

0 Kommentare Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.